Diese Überlieferung fällt grob in der Kategorie „Memoiren“. Der ehemalig „Ministerpräsident“ oder „Präsident des Gesamtministeriums“ des Großherzogtums Hessen, Karl Wilhelm Heinrich Freiherr du Bos du Thil, hat aus seinem Gedächtnis aber auch mit Hilfe noch zur Verfügung stehende Akten und anderen Schriftstücken seiner Zeit im Regierungsapparats Ludwigs I. erzählt. Wie weit sind diese Darstellungen für geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisse über den Großherzog brauchbar?
Hinweise auf den Kontext diese Überlieferungen gibt der Historiker und Autor der Einleitung Heinrich Ephraim Ulmann. Nachdem du Thil aus dem Amt des Ministerpräsidenten ausgeschieden war, hat der damaligen Großherzog Ludwig III. Kontakt mit du Thil aufgenommen um schriftliche Quellen über seinen Großvater und Vater zu bekommen. Da diese Quellen während der Revolution von 1848 zum größten verbrannt wurden, gab es eine Vereinbarung zwischen dem Großherzog und du Thil, dass der Letztere seine Erinnerungen für die Geschichte niederschreibe.
Laut Ulmann geht du Thil sehr gewissenhaft damit um. Nach seiner Auffassung legt du Thil viel Wert auf die Wahrhaftigkeit seiner Aussagen. Diese untermauert er mit Angaben in der Einleitung. Es ist möglich, dass ein Vergleich mit weitere wissenschaftliche Behandlungen über du Thil diese Überzeugung Ulmann geprüft werden kann. Die Aussagen du Thils im Text selbst hinterlassen eine plausible Eindruck, dass die er so weit er selbst davon überzeugt ist, die Wahrheit niedergeschrieben zu haben. Hinweise über die Ungenauigkeit seines Wissens findet man an mehrere Stellen im Text.
Auch wenn man überzeugt ist, dass du Thil keine absichtliche Falschaussagen getätigt hat, muss man beim Auswerten der Informationen im Kopf behalten, dass der Großherzog Auftraggeber ist, und dass du Thil ein treuer Diener des Herrschaftshauses Hessen-Darmstadt war. Seiner Wahrnehmung von Hervorkommnisse, Handlungen und ihre Bedeutung sind davon geprägt und wie bei Steiner kritisch zu hinterfragen.
Es gibt aber einen Unterschied zu Steiner und zwar die Rollen der beiden Männer. Steiner ist als Hofhistoriograf beschäftigt und durch seine Position ist der Grad an Abhängigkeit zur Großherzlichen Familie durchaus höher als die von du Thil. Der ehemalige Ministerpräsident hat das Ende seiner Karriere erreicht und es gibt keinen Anzeichen, dass er wieder ins Amt zurück will. Er ist über 70 Jahre alt und war bis ins hohen Lebensalter noch im Amt. Er hat durch sein Dienst bei mehrere Regenten Ansehen erworben. Die Anfrage untermauert die Respekt, die er verdient hat.
Auch die überlieferte Berichte seiner Regierungszeit deuten auf einem starken Charakter, der viel Wert auf Prinzipien legt. Aus den Text selbst gewinnt man den Eindruck, dass er die Memoiren für auch als Abrechnung mit sich selbst schreibt, aber auch eine Interesse den Charakter Ludwigs I. für die Nachwelt zu hinterlassen. Er vermittelt glaubwürdig die Intention einen geschätzten Person zu ehren. Diese Nähe zum Großherzog ist bei Steiner nicht zu erkennen. Er selbst schreibt, dass er auf Überlieferungen anderen Personen angewiesen ist.
Meinen Eindruck nachdem ich beiden Texte gelesen habe deckt sich mit der Aussage von Ludwig Clemm stark überein in seinem Festschrift „Großherzog Ludewig I.: Umriß seiner Persönlichkeit nach Charakter und Wirken“. Er schreibt: „Das Werk Steiners von 1842 ist eine leidliche Stoffsammlung, zum Teil aus heute verlorenen Quellen, es ist aber auch unkritisch, und nicht frei von hofhistoriographischen Schwächen. … Viel wertvoller als beide und als andere wohlmeinende Fest-oder Erinnerungsartikel sind für die Erkenntnis des Wesens Ludwigs die Denkwürdigkeiten des Ministers du Thils für die Jahre 1800-1830.“
Es ist kein Zufall, dass die Historiker und weitere Autoren, die über Ludwig I. geschrieben habe, auch auf den Darstellungen du Thils beziehen. Den gewissenhafte Umgang mit der Informationen aus du Thils „Denkwürdigkeiten“ bietet durchaus ein Aufschlussreiches Bild von Ludwig I. sein Charakter und Denkweise. Perfekt ist es nicht und etwas zum positiven verzerrt. Wenn man aber die Fähigkeit hat die Informationen im Kontext zu analysieren stehen durchaus Material, um Thesen aus dieser Zeit zu untersuchen.